Tiefenökologie

1972 prägte der norwegische Philosoph und Umweltaktivist Arne Naess (1912-2009) den Ausdruck ´deep ecology`. Nach Erscheinen des 1. Berichts des Club of Rome ging es ihm darum, die wissenschaftlichen Fakten um eine „Tiefenebene“ zu erweitern: tiefere  Fragen an das menschliche Sein zu stellen (weshalb er auch manchmal von ´Ökosophie` sprach) und auch die spirituelle Dimension mit einzubeziehen.

Leider geht der Wikipedia-Beitrag über Tiefenökologie nur auf Arne Naess und den Ansatz der Ökopsychologie von Theodore Roszak (1994) ein, in welchem er versucht, die Empathie für alles Lebendige zu betonen. Der Mensch stehe nicht jenseits oder über der Natur! Es gelte, den Anthropozentrismus zu überwinden. Erstaunlicherweise wird dabei Joanna Macy nicht erwähnt, die die Tiefenökologie weltweit entscheidend mitgeprägt hat. Deshalb soll ihr Ansatz kurz dargestellt werden

In den 80iger Jahren verband Joanna Macy ihr bisheriges Engagement gegen Atomwaffen und ihre Erfahrungen mit Workshops darüber mit einem erweiterten Interesse an den zunehmend drängenden ökologischen Problemen. In ihrem Buch „Mut in der Bedrohung“ (1986) brachte sie früh ihre Erfahrungen ein, Menschen für ein Engagement „für das Leben“ insgesamt zu motivieren. Auf dem Hintergrund ihrer wissenschaftlichen Arbeit über Systemtheorie sowie vergleichende Religionswissenschaften und ihrer realen Begegnung mit dem Buddhismus angesichts ihres Engagements für tibetische Flüchtlinge in Indien, schuf Joanna Macy einen erweiterten Ansatz für die tiefenökologische Arbeit. Er bezieht neben sachlichen Informationen auch emotionale Zugänge ein: Wichtige psychologische Fragen werden berücksichtigt, wie z.B. die Beziehung zwischen häufiger menschlicher Apathie gegenüber dem Klimawandel und der Verdrängung des Schmerzes über den Zustand der Welt, der anerkannt werden müsse. Ebenso bemüht sich dieser Ansatz durch vielfältige Übungen, unsere tiefe Verbundenheit mit der Erde und der Natur wieder ins Gefühl zu holen. Er will uns einerseits deren Schönheit und Regenerationskraft wieder bewusst machen, andererseits aber auch das vielfältige ´Netz des Lebens`, in das wir eingegliedert sind. Darin dominieren nicht wir Menschen, wie wir es uns gerne einbilden, sondern leben in wechselseitiger Abhängigkeit wie auch im Austausch mit der komplexen Vielfalt des Lebendigen. Joanna Macy nannte im Verlauf ihrer weltweiten Workshop- und Vortragstätigkeit ihre Arbeit: The Work, That Reconnects (TWR), die Arbeit, die wieder verbindet – und das tut sie in der Tat. 

Seit über 20 Jahren ist die Tiefenökologie für mich ein Ansatz, der sich in den Workshops immer wieder bewährt. Warum? Weil sie für mich eine Synthese darstellt zwischen dem Bemühen um den eigenen, inneren Wandel und dem Engagement für den äußeren Wandel. Hier wird nicht mit dem erhobenen Zeigefinder gefordert, „Du musst“, „Du sollst“ oder „das darfst Du nicht“. Stattdessen wird versucht, die Liebe zum Leben und zum Lebendigen wieder zu wecken – als Quelle für die Motivation und Kraft, sich für das Leben auf der Erde zu engagieren. Das hat mich zutiefst überzeugt, und so machte ich von 1998-2000 ein „Holon-Training“, wie sich die tiefenökologische Weiterbildung nannte, um den ganzheitlichen Zugang zum Lebendigen zu betonen. Seitdem engagiere ich mich für diesen Ansatz, auch wenn ich neben meiner Kassenpraxis als Psychotherapeutin nur Workshops dazu durchführen konnte. Nachdem ich aus Altersgründen meine Praxis abgegeben habe, rückt diese Tätigkeit wieder mehr in den Mittelpunkt meines Lebens. Da ich in Corona-Zeiten keine Workshops durchführen konnte, habe ich ein Konzept für diese Arbeit in meinem neuen Buch „Klimawandel – Bewusstseinswandel. Eine Einladung“ dargestellt. Hier wird ein Weg u.a. auch an Hand von Übungen aufgezeigt, den Menschen alleine oder in einer Gruppe gehen können. Wenn sie dabei eine Begleitung wünschen, stehe ich gerne zur Verfügung.  

Abschließend soll eine Graphik die verschiedenen Bereiche[2] veranschaulichen, die man sich allerdings jeweils als prozesshaft vorstellen muss (s.u.). Eine andere Vorstellungsmöglichkeit ist das Bild einer Spirale mit einem fraktalen Muster durch vier aufeinander folgende Entwicklungsphasen[3]

1. Unsere Dankbarkeit, die uns mit dem Ursprung des Daseins verbindet und unsere Liebe für das Leben ausdrückt;

2. Unseren Schmerz um die Erde, der unsere Liebe und unser Mitfühlen ausdrückt und dem wir uns stellen sollten, um uns nicht von unseren Gefühlen abzuschotten und sie zu verdrängen;

3. Mit neuen Augen sehen, d.h. sich einer erweiterten Sichtweise öffnen, dass wir in das lebendige Netz des Lebens eingewoben sind und in wechselseitiger Abhängigkeit von ihm leben;

4. Weitergehen und Handeln, um zu einem Engagement für die Erde in unserer aktuellen Situation zu kommen. 


[1] David Rothenberg: Tiefenökologie versus das Anthropozän. Vom 8.5.2018, Bundeszentrale für Politische Bildung, einzusehen unter https://www.bpb.de/gesellschaft/umwelt/bioethik/265763/tiefenoekologie-vs-das-anthropozaen

[2] Franz-Theo Gottwald, Andrea Klepsch (Hrsg.): Tiefenökologie. Wie wir in Zukunft leben wollen. 1995, S. 13.

[3] Vgl. Joanna Macy & Molly Brown: Für das Leben! Ohne Warum. Ermutigung zu einer spirituell-ökologischen Revolution. 4. überarbeitete Auflage, 2017, S. 106ff